Der europäische Podcast aus Szczecin

Autor: st1 (Seite 1 von 1)

Die fremde Erinnerung. Spuren des deutsch-französischen Kriegs von 1870 im heutigen Polen

Pierre-Frédéric Weber

Vor 150 Jahren kam es mit dem Ausbruch des deutsch- bzw. preußisch-französischen Kriegs zum Urknall, der einen mehr als drei Generationen andauernden Zyklus zugespitzter Feindschaft zwischen diesen beiden großen europäischen Nachbarstaaten einleitete. So positiv sich die schon am 4. September 1870 – gleich nach der Niederlage des Second Empire bei Sedan – in Paris ausgerufene Dritte Republik aus späterer und heutiger Perspektive für die Entwicklung Frankreichs und seine internationale Stellung erwies, so tief saß lange Zeit das Trauma der Franzosen, im militärischen Zusammenstoß mit Preußen so schnell und schmählich – mit dem schmerzhaftem Gebietsverlust vom Elsass und eines Teils Lothringens an das ausgerechnet in Versailles verkündete II. Deutsche Reich – unterlegen zu sein. Die Geburt der bislang längsten republikanischen Ordnung in der französischen Geschichte (1870–1940), die vom Krieg und dem dunklen Kapitel des Vichy-Regimes unterbrochen (1940–1944) nach zweijähriger Übergangsregierung (1944–1946) mit der Vierten Republik (1946–1958) wieder aufgenommen und anschließend von der Fünften Republik (seit 1958) bestätigt und gestärkt wurde, nahm der französische Staatspräsident Emmanuel Macron dieses Jahr zwar zum Anlass, um Sinn und Werte der Republik zu unterstreichen; die Wehen, in denen die Republik das Kaiserreich ersetzte und sich innen und außen durchzusetzen hatte, blieben dabei jedoch weitgehend unterbeleuchtet.

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Szczecin, Polens pulsierende Peripherie

Pierre-Frédéric Weber 

Vor nicht so geraumer Zeit, zu Beginn der 2000er Jahre, gehörte es selbst unter Teilen der Szczeciner gebildeten Mittelschicht noch zum guten Ton, die eigene Stadt als rückständig, provinziell und peripher darzustellen. Dabei spielte die immerhin rund 400.000 Einwohner starke Bevölkerung in dieser pauschalisierenden Einschätzung der Hauptstadt Westpommerns keine Rolle. Es galt und gilt mitunter noch heute vielmehr die – zumeist bloß übernommene und nicht verifizierte – Überzeugung, die Stadt hätte wirtschaftlich und kulturell wenig zu bieten; ein „Dorf mit Trambahnen“ wie es im Lande höchstens noch in Bydgoszcz (ehem. Bromberg) anzutreffen sei, ein Ort ohne größere Ambitionen und Projekte, der vermeintlich an der Oder gemächlich vor sich hin kriselte, während andere polnische Metropolen den Sprung aus dem Staatssozialismus heraus in die moderne Marktwirtschaft schon lange geschafft hätten. 

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Stettin: Vom Zwischenraum zur Grenzmetropole

Pierre-Frédéric Weber

„Kennen Sie jemanden, der in Stettin lebt?“

„Nein“, antwortete Mrs. Wilcox ernst, während ihr Nachbar, ein junger Mann aus den unteren Reihen des Kultusministeriums, sich darüber verbreitete, wie Menschen, die in Stettin leben, auszusehen hätten. Ob es wohl so etwas gebe wie Stettinität? Margaret stürzte sich auf das Thema.

„Die Stettiner lassen aus überhängenden Lagerhäusern Sachen in Kähne fallen. Unsere Vettern zumindest tun das, aber besonders reich sind sie nicht. Die Stadt ist nicht weiter interessant abgesehen von einer Uhr, die mit den Augen rollt, und der Aussicht auf die Oder, die wahrhaftig was Besonderes ist. O Mrs. Wilcox, Sie würden die Oder lieben! Der Fluss, genauer gesagt die Flüsse – es scheint dort Dutzende davon zu geben – sind von einem tiefen Blau, und die Ebene, durch die sie fließen, ist von tiefstem Grün.“ (Zitat aus: Edward Morgan Forster, Wiedersehen in Howards End, aus dem Engl. von E. Pöllinger, Frankfurt am Main 2005, Fischer Verlag, Kap. IX, S. 87.)

Die kurze Erwähnung Stettins in E.M. Forsters 1910 erschienenem Erfolgsroman skizziert geradezu impressionistisch eine größere und dennoch damals außerhalb von Deutschland für viele Europäer kaum näher bekannte Hafenstadt in ihrer unmittelbaren geografischen Lage. Bemerkenswerterweise bot der Autor dadurch beiläufig den Schnappschuss einer Realität, die die – immerhin tiefgreifenden – Umbrüche in der Lokal- und Regionalgeschichte des Stettiner Stadtgebiets weitgehend überdauert hat und deren Hauptzüge zum Teil bis heute prägend geblieben sind.

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Fahrt nach Nirgendwo? Ein Selbstversuch im deutsch-polnischen Grenzland

Schengen hat uns ein Europa ohne Grenzen gebracht. Wirklich? Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln vom polnischen Szczecin nach Schwedt an der Oder und zurück. Ein Erlebnisbericht von Martin Hanf

Den 21.12.2007 werde ich so schnell nicht vergessen. Verbracht habe ich die Nacht mit hunderten Leuten am Grenzübergang Lubieszyn. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennte er die DDR von der Volksrepublik Polen und schließlich das wiedervereinigte Deutschland vom zur Demokratie gewordenen  Polen. Mal war die Grenze durchlässiger, mal ging fast nichts mehr, wie Anfang der 1980er Jahre, als die sozialistische Führung in Ost-Berlin erst die Streiks, dann die Gründung der Gewerkschaftsbewegung Solidarność und schließlich die Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember 1981 misstrauisch und mit Argusaugen beobachteten. Und selbst als sich am Ende des gleichen Jahrzehnts der politische Wind drehte, gehörten Warten und Kontrollen zum langweiligen Alltag an der deutsch-polnischen Grenze. Wer das alles miterlebte, kann die Freude, vor allem vieler Polen verstehen, die sich kurz vor Weihnachten 2007 in Lubieszyn trafen, um das Ende der Grenzkontrollen zu feiern.

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